Aus astrologisch-spiritueller Sicht ist es der geistige Auftrag des Widders, verkrustete und erstarrte Situationen aufzureißen, mit Mut und ohne Furcht Hindernisse zu überwinden, um damit neuem und frischem Leben zum Durchbruch zu verhelfen. Der Monat April ist der Widder-Monat, in dem sich das neue Leben in der Natur mit geballter Stoßkraft seinen Weg bahnt.
Ein typisches Widder-Märchen ist das Grimms-Märchen „Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet.“ In dem Märchen ist von einem Königssohn die Rede, der sein Zuhause verlässt, um sich furchtlos auf eine Reise mit unbekannten Abenteuern zu begeben. Diese Furchtlosigkeit kann man bereits bei kleinen Kindern mit Widder-Mond beobachten. Eine Mutter aus meinem Bekanntenkreis erzählte mir einmal, wie sehr sie ständig aufpassen müsse, dass ihr dreijähriger Sohn nicht in einem unbeobachteten Augenblick das Weite suche. Beim Einkaufen oder am Spielplatz ist es schon des Öfteren passiert, dass er plötzlich ausbüchste.
Im Märchen begegnet der Königssohn als erstes einem Riesen, der menschengroße Kugeln und Kegel sein eigen nennt. Der Königssohn fragt nicht erst höflich, ob er diese Kugeln und Kegel bewegen darf. Nein, er spielt einfach lustig drauf los. Auch ein Widder-betonter Mensch, kann mit seiner Begeisterung und Stoßkraft gigantische Projekte in Bewegung setzen ohne dabei immer ausreichend Rücksicht auf seine Umwelt zu nehmen. Widder werden deshalb oftmals von der Umwelt kritisiert. Der verärgerte Riese ruft: „Würmchen, was kegelst du mit meinen Kegeln?“ Darauf der Königssohn: „O du Klotz, du meinst wohl, du hättest allein starke Arme? Ich kann alles, wozu ich Lust habe.“ Auch bei einem Widder-Menschen ist Takt und Höflichkeit nicht unbedingt eine Stärke, eher unbekümmerte Direktheit, wie sie sich bei dem Märchen auch an der Aussage „O du Klotz“ zeigt. Der Riese antwortet dem Königssohn: „Menschenkind, wenn du der Art bist, so geh und hol mir einen Apfel vom Baum des Lebens.“ Der Riese erwähnt dann, dass er weit in der Welt umhergegangen sei, aber den Baum des Lebens nicht finden konnte, obwohl er einen Apfel von diesem Baum seiner Braut versprochen hatte. Deshalb beauftragt der Riese den vor Lebendigkeit und Kühnheit strotzenden Königssohn dies für ihn zu erledigen. Auch Widder-Menschen bestechen durch ihre Lebendigkeit. Oft im hohen Alter wirken sie noch jugendlich.
Der Kampf um den Ring der Kraft
Der Königssohn erfüllt die vom Riesen gestellte Aufgabe und pflückt den gewünschten Apfel. Beim Pflücken schließt sich ein Ring um seinen Arm, der ihm von nun an eine gewaltige Kraft verleiht. Ein Löwe, der den Apfelbaum bewachte, begleitet von nun an unseren Helden „demütig“, wie es im Märchen heißt. Der Riese verlangt nun zusätzlich zu dem Apfel auch den Kraftring, weil die Braut des Riesen daran zweifelt, dass er diese kühne Tat, die er ihr zuvor versprach, auch wirklich vollbracht hat. Er forderte deshalb vom Königssohn den Ring der Kraft. Ich kenne Erlebnisse von Widder-betonten Menschen, bei denen sie sich auf ein riskantes Projekt eingelassen haben, aber dann bei Erfolg andere die Lorbeeren eingestrichen haben.
Nachdem der Königssohn ihm den Ring verweigert hat, arbeitet der Riese mit einer List, um an den Zauberring zu kommen. Er rät dem Königssohn zwecks einer Abkühlung ein Bad im Fluß zu nehmen. Im Märchen heißt es hierzu: „Der Königssohn, der von Falschheit nichts wusste, ging mit ihm zu dem Wasser, streift mit seinen Kleidern auch den Ring vom Arm und sprang in den Fluß.“ Als der Königssohn danach den Diebstahl des Rings bemerkt, hilft ihm sein treu ergebener Löwe, den Ring zurückzugewinnen. Für Widder-betonte Menschen ist es typisch, dass sie intrigante Schachzüge nicht durchschauen, weil sie Falschheit nicht kennen und deshalb kindlich-naive Reaktionen zeigen. Die Blindheit des Königssohns gegenüber listigen Attacken wird dadurch nochmals bestätigt, als der Riese „versteckt hinter einem Baum“, also aus dem Hinterhalt dem Königssohn die Augen aussticht. Blind und damit hilflos lässt er sich vom Riesen an der Hand führen, wobei dieser immer wieder versucht, ihn von Felsklippen herab in den Abgrund zu stürzen. Nur sein Überlebensinstinkt, symbolisiert durch seinen hilfreichen Löwen, bewahrt ihn vor dem Tod. Ich deute dies so, dass es für einen Widder sehr wichtig ist, nicht den Kontakt zu seiner instinkthaften Wildheit zu verlieren. Dies erhält seine Lebendigkeit. Als der Königssohn sich in einem klaren Bach (dem Wasser des Lebens?) die Augen wäscht, erhält er wieder sein Augenlicht, kann also klar sehen und damit überblicken, was echt und wahrhaftig ist.
Die Begegnung mit dem Schatten
Am Ende seines Weges gelangt der Königssohn an ein verwunschenes Schloß, an dessen Tor eine wunderschöne Jungfrau steht, „aber sie war ganz schwarz“. Sie bittet ihn um Erlösung von dem bösen Zauber. Dazu muss der Königssohn drei Nächte in einem Keller verbringen, wo er von Dämonen gequält wird. Da spricht der Königssohn: „Ich fürchte mich nicht, ich will´s mit Gottes Hilfe versuchen“. Hier geschieht die große Wandlung und Transformation. Die Zahl drei ist die Zauberzahl im Märchen. Sie ist die Ankündigung, dass das Geschehen eine Wende nimmt (Christus ist drei Tage im Grab, bevor seine Auferstehung stattfindet). Der ich-hafte Wille des Widders unterstellt sich damit bewusst dem höheren, göttlichen Willen.
Und schließlich stellt sich der Königssohn seinen innerpsychischen Dämonen. Zu Beginn seiner Reise hat er all seine Kämpfe in der Außenwelt ausgefochten. Jetzt aber geht es um verdrängte Anteile seiner Psyche, die ihn quälen. Wie könnten die Dämonen im dunklen Keller des Unbewußten eines Widder-Menschen aussehen? Zum Beispiel könnten Ängste der Schwäche, der Unsicherheit und des Alleinseins eine Rolle spielen, die er aber bisher unter tausend Masken der Stärke verborgen hat.
Erst als der Königssohn die notwendige Bewußtseinsarbeit geleistet hat, wird er beziehungsfähig. Er kann seine bisher unbewußten, verdrängten Persönlichkeitsanteile aus der Dunkelheit ins Licht heben, in dem er seine dunkle Seite (siehe schwarze Jungfrau!) anschaut, integriert und damit auch zu seinem Wesen als zugehörig annimmt. Er hat damit diese Persönlichkeitsanteile aus ihrem Schattendasein befreit und erlöst. Im Märchen wird dies dadurch dargestellt, dass die ursprünglich schwarze Jungfrau nunmehr weiß ist.
Wenn ein Widder sich in seiner Ganzheit – mit seinen Stärken und Schwächen – annimmt, wächst in ihm sein Verantwortungsbewusstsein und der innere Auftrag, ungesunde, lebensfeindliche und erstarrte Situationen aufzubrechen. Im Märchen wird nicht nur die Jungfrau erlöst, sondern auch das ganze erstarrte (vielleicht überbordend bürokratische?) Schloß mit all den Menschen, die darin leben. Die Hochzeit des Königssohns mit der Jungfrau wird mit viel Freude und einem großen Fest gefeiert, heißt es dazu am Schluss des Märchens. Man kann sich vorstellen, dass alle Betroffenen tief aufatmen, als wieder Vitalität und Begeisterungsfähigkeit in das Schloß einkehren.
Derartige Herausforderungen und Projekte zu initiieren – im Großen wie im Kleinen – ist die Aufgabe eines reifen und geistig entwickelten Menschen mit Sonne im Widder.